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Der verrückte Grenzstein

Mit Hilfe von Herrn Rechtsanwalt Michael Janßen konnte der beklagte Grundstückseigentümer eine Klage seiner Nachbarin Nachbarn auf Wiederherstellung des Grenzsteins abwehren.

Das Amtsgericht Aachen hat mit Urteil vom 25.1.2022 die Klage der Nachbarn auf Wiederherstellung des Grenzsteins abgelehnt und wie folgt in seinem Urteil ausgeführt:

I. Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wiederherstellung einer Grenzabmarkung.

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Die Klägerin erwarb am xx.xx.2010 das Eigentum an dem Grundstück xx, xx Aachen, xx. Der Beklagte ist Eigentümer des benachbarten Grundstückes xx, xx Aachen, xx. Am hinteren Ende der Grundstücke befindet sich in einem Abhang gelegen ein Grenzstein, der 2009 gesetzt wurde. Dieser liegt in der Senke, da beide Grundstücke des damaligen Neubaugebietes im hinteren Bereich nach Setzung des Grenzsteines im Wege von Bauarbeiten aufgeschüttet und begradigt wurden. Dieser Grenzstein, der nicht in der Skizze der späteren Grenzniederschrift eingezeichnet wurde, steht nicht mehr lotrecht. Er ist um 5 cm auf der Grenzlinie in Gefällerichtung der Böschung gekippt, wobei die Spitze des Schaftes auf dem der Grenzkopf befestigt ist noch an ihrem Ursprung steht. Der Vater des Beklagten errichtet im Zeitraum von April bis August 2010 zwischen den beiden Grundstücken in Eigenarbeit eine Zaunanlage. Die konischen Einschlaghülsen, die zur Befestigung der Zaunpfähle dienten, wurden dabei ohne Vorbohrung eingeschlagen; eine davon in unmittelbarer Nähe zu dem oben näher beschriebenen Grenzstein. Der Ing. xx stellte am xx.xx.2010 – vor Aufschüttung der Grundstücke – eine Schiefstellung des Grenzsteins um 4 cm fest. Am xx.xx.2014 wurde eine von der Stadt Aachen veranlasste Begehung zur Grenzniederschrift durchgeführt, in deren Rahmen der durch den Vater des Beklagten errichtete Zaun nicht beanstandet wurde. Gegenstand dieser Begehung waren die Grenzen zum Flurstück xx, nicht jedoch jene zum Flurstück xx, an welches der streitgegenständliche Grenzstein grenzt. 

Die Klägerin forderte den Beklagten mit Schreiben vom xx.xx.2020, unter Fristsetzung auf den xx.xx.2020, dazu auf, an einer Wiederherstellung der Grenzmarke mitzuwirken. Dem hielt der Beklagte mit Schreiben vom xx.xx.2020 entgegen, dass der Grenzstein nicht verrückt sei. Das am Montag, den xx.xx.2020 durchgeführte Schlichtungsverfahren blieb erfolglos.

Die Klägerin behauptet, dass die Ursache für die unstreitig nicht mehr lotrechte Stellung des Grenzsteins in der Einschlagshülse liege, welche – ebenfalls unstreitig – unmittelbar neben dem Grenzstein eingeschlagen wurde. Die daraus hervorgehende Neigung des Grenzsteins habe zur Folge, dass eine korrekte Grenzlinie zwischen den Grundstücken der Parteien nichtmehr gezogen werden könne. Die Vermessung der Grenzlinie mittels Richtschnur werden ferner durch den auf der Grenzlinie stehenden Eckpfahl des Zaunes verhindert. Soweit sich der Beklagte auf die Alternativursache in Form der Hangrutschung beruft, behauptet die Klägerin hätte eine parallele Verschiebung von Pfahl und Messpunkt eintreten müssen. Hinsichtlich der durch den Beklagten vorgetragenen Alternativursache in Form der Auffüllung behauptet die Klägerin, dass dann durch Ing. xx im Jahre 2010 noch keine Schiefstellung des Grenzsteins hätte gemessen werden dürfen. Die Klägerin ist schließlich der Ansicht, dass es für die Frage, ob der Grenzstein verrückt Sinne des § 919 Abs. 1 BGB ist, auf die sich unstreitig noch an ihrem Ursprungsort befindliche Schaftspitze der Grenzmarke nicht ankommen könne.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an der Wiederherstellung des Grenzsteins an der hinteren Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken der Klägerin xx, Aachen, und dem Grundstück des Beklagten xx, Aachen, mitzuwirken.

Den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der Wiederherstellung des Grenzsteins am korrekten Grenzpunkt alleine zu tragen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Er behauptet, dass neben der Hanglage und der Erdauffüllung auch die Bodenverdichtung zu einer Verschiebung des Grenzsteins beigetragen haben könne. Der Grenzzaun samt Pfosten sei zudem im Einvernehmen mit der Klägerin errichtet worden. Darüber hinaus sei es nach wie vor ohne Weiteres möglich, die korrekte Grenzlinie zwischen den Grundstücken festzustellen. Der Beklagte ist des Weiteren der Ansicht, dass der Grenzstein noch immer zutreffend positioniert sei. Die Klägerin habe keinen Anspruch darauf, dass der Grenzstein exakt, d. h. ohne eine minimale Abweichung, auf dem Grenzpunkt stehe, solange eine zuverlässige Kennzeichnung sichtbar sei. Durch die geringfügige Neigung, die unstrittig zum Grenzverlauf entspricht, entstehe der Klägerin kein Nachteil. Der Beklagte beruft sich auf Verwirkung.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Hinzuziehung eines Sachverständigen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten (Bl. 62-72 d.A.) und das Ergänzungsgutachten (Bl. 110-114 d.A.) verwiesen.

II. Entscheidungsgründe:

A. Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Wiederherstellung des Grenzsteins am hinteren Ende der Grundstücke durch das insoweit zuständige Vermessungsamt aus § 919 Abs. 1 und 2 BGB. Gemäß § 919 Abs. 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstückes von dem Eigentümer eines Nachbargrundstücks verlangen, dass dieser bei der Widerherstellung von festen Grenzzeichen mitwirkt, wenn ein solchen verrückt oder unkenntlich gemacht worden ist. Das ist vorliegend nicht der Fall. Die Klägerin ist als Eigentümerin des Flurstücks xx zwar aktivlegitimiert und die Grenze zwischen den streitgegenständlichen Flurstücken unstreitig. Der Grenzstein ist indessen nicht „verrückt“ im Sinne des § 919 Abs. 1 BGB. Der Sachverständige xx hat insofern ausgeführt, dass der an der Erdoberfläche sichtbare Kopf der Grenzmarke, genauer der Zentrierpunkt dieser Marke, von seiner Soll-Lage 5 bis 6 cm abweiche (S. 6 des Gutachtens, Bl. 68 d. A.). Verschoben sei die Marke in Hangrichtung auf der Grenzlinie, wobei sich die Spitze des Schaftes noch an ihrer Ursprungsstelle, dem rechtmäßigen Grenzpunkt, befinde (S. 7 f. des Gutachtens, Bl. 69 f. d. A.). Diese Ausführungen des Sachverständigen zum Status quo haben die Parteien in ihren Parteivortrag übereinstimmend übernommen. Die Klägerin hat lediglich beanstandet, dass der Sachverständige hinsichtlich des in Betracht kommende Ursachenspektrums von unzutreffenden Tatsachen ausgegangen ist.
Die fehlende Verrückung der Grenzmarke lässt sich indessen nicht bereits darauf stützen, dass das untere Ende des Schaftes, auf dem der Grenzmarkenkopf befestigt ist, noch an seiner Ursprungsstelle liegt. Insoweit ist der Klägerin beizupflichten, dass für die Frage, ob eine Verrückung im Sinne des § 919 Abs. 1 BGB vorliegt – aufgrund der nachfolgend noch darzulegenden Teloi des § 919 Abs. 1 BGB – die an der Erdoberfläche liegende Kopfmarke maßgebend ist, welche im hiesigen Fall unstreitig, um 5 cm verschoben ist.

Die vorliegende Verschiebung des Grenzmarkenkopfes um 5 cm der Grenzlinie genügt dennoch nicht für eine Verrückung im Sinne des § 919 Abs. 1 BGB. Ein allgemeingültiges Mittelmaß, welches vorliegen muss, um von einer Verrückung im Sinne des Gesetzes ausgehen zu können, existiert nicht. Gleichwohl rechtfertigt nicht jedwede Abweichung der Grenzmarke von den amtlichen Koordinaten einen Anspruch aus § 919 Abs. 1 BGB. Dies erschließt sich sowohl vor dem Hintergrund der Funktion der Grenzmarke als auch der Teloi des § 919 Abs. 1 BGB.

Die Grenzmarke verfolgt den Zweck, den Verlauf der Grenze in der Örtlichkeit zu veranschaulichen. Sie bestimmt hingegen nicht mit konstitutiver Wirkung die Koordinaten des betrachteten Grenzpunktes. Diese ergeben sich vielmehr aus dem Datenwerk des Liegenschaftskatasters (OVG NRW, Beschluss vom 05. Juli 2013 – 14 A 985/11 – Rn. 14, juris; OLG Brandenburg NJW-RR 2009, 1095 [1099]). Entsprechend werden bereits beim Setzten der jeweiligen Grenzmarken gewisse Messtoleranzen gewährt. Es kann nicht erwartet werden, dass die Abmarkung den jeweiligen Grenzpunkt ohne jede Abweichung von den Koordinaten des Liegenschaftskatasters vor Ort mathematisch exakt kennzeichnet. Derartige Genauigkeitsanforderungen sind angesichts der historischen Entwicklung des Katasterzahlenwerkes mit Vermessungen aus unterschiedlichen Epochen mit Messmethoden unterschiedlicher Genauigkeit nicht zu erfüllen (OVG NRW, Beschluss vom 05. Juli 2013 – 14 A 985/11 -, Rn. 12 ff., juris). Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass der Grenzmarke ein erheblicher Beweiswert zukommt (Roth, in: Staudinger, 2020, § 919 Rn. 16).

Durch Kombination der auf der einen Seite gewährten Abweichungstoleranz beim Setzen der Grenzmarke mit dem erheblichen Beweiswert der Grenzmarke auf der anderen Seite wird deutlich, dass keine zu hohen Anforderungen an ein Verrücken zu stellen sind, gleichwohl aber eine Erheblichkeitsschwelle überschritten sein muss. Dies ist der Fall, wenn die Grenzmarke ihrer Funktion nicht mehr gerecht wird, d. h. die Grenze in der Örtlichkeit nicht mehr hinreichend präzise veranschaulicht. Eine solche Funktionsvereitelung der Grenzmarke ist vorliegend nicht gegeben. Die Grenzmarke repräsentiert die zwischen den Flusstücken xx und xx liegende Grenze unverändert präzise, da diese vom Zentrierpunkt ausgehend lediglich um 5 cm auf der Grenzlinie in Richtung der Böschung gekippt ist.

Als den Teloi des § 919 Abs. 1 BGB ergibt sich kein abweichendes Ergebnis. Vielmehr korrespondieren diese mit dem Sinn und Zweck der Grenzmarke. Das Bestehen von Grenzzeichen soll verhindern, dass sich benachbarte Grundstückseigentümer über einen an sich unstreitigen Grenzverlauf streiten, indem es ihnen durch das sinnlich erfahrbare Grenzzeichen ermöglicht wird, schnell und ohne größeren Aufwand die Grundstücksgrenzen vor Ort definieren zu können (Fritzsche, in: Bamberger/Roch/Hau/Poseck, 60. Ed., § 919 Rn. 1; E/zer, in: E/Erman, 16. Auflage 2020, § 919 Rn. 1). Daneben soll einer Grenzverdunkelung vorgebeugt werden (Roth, in: Staudinger, 2020, § 919 Rn. 1). Um diesen Zwecken gerecht zu werden, ist es erforderlich, dass ein Grenzzeichen leicht und ohne Weiteres erkennbar, die Grenzen anhand desselben vermessbar und dieses für alle von den Grundstücksgrenzen Betroffenen gut zugänglich ist. Dies ist vorliegend der Fall. Die Grenze zwischen den Grundstücken der Klägerin und des Beklagten ist sinnlich ohne Weiteres erfahrbar und beide Parteien gleichermaßen zugänglich. Dem steht nicht entgegen, dass sich die Grenzmarke aufgrund der Erdaufschüttung ca. 30 cm unter dem Niveau des Grundstückes der Klägerin in einer Senke befindet (S. 5 des Gutachtens, Bl. 67 d.A.). Zwar wird in der Rechtsprechung ein Anspruch aus § 919 Abs. 1 BGB aufgrund Verdeckung der Grenzmarke auch dann diskutiert, wenn aus der ex ante Betrachtung die Freilegung des verdeckten Grenzzeichens einen nicht völlig unerheblichen Aufwand bedeutet (LG Saarbrücken NJOZ 2014, 168; ablehnend OLG Celle OLG Report 2006, 669; Roth, in: Staudinger, 2020, § 919 Rn. 1). Ein solcher liegt im hiesigen Fall aber nicht vor. Sollte der Grenzstein von Erde bedeckt werden, lässt sich dieser ohne erheblichen Aufwand wieder freilegen.

Die Grenzmarke genügt überdies nach wie vor ihrer Funktion, Konflikten durch die Feststellung eines unstreitigen Grenzverlaufs zwischen zwei Grundstücken vorzubeugen. Wie schon zuvor dargelegt, repräsentiert die Grenzmarke die Grenzlinie zwischen den Grundstücken der Parteien noch hinreichend präzise, da diese auf der Grenzlinie in Richtung der Böschung gekippt ist. Der Klägerin ist es unbenommen, mithilfe einer Grenzschnur die Grundstücksgrenze nachzuvollziehen. Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass sie durch den Beklagten in unmittelbarer Nähe zum Grenzstein platzierten Pfosten daran hindere, eine Messung der Grundstücksgrenze von dem Zentrierpunkt der Grenzmarke ausgehende durchzuführen, ist dies für § 919 Abs. 1 BGB ohne Belang. Insofern kommt es einzig auf die Richtigkeit der Grenzmarke als Ausgangspunkt der Grenzlinie an.

Nach Einschätzung des Sachverständigen droht auch keine Grenzverdunkelung (Bl: 135 d.A.). Das Gericht teilt diese Einschätzung, da ausweislich der vorausgegangenen Ausführungen der Grenzmarke die zwischen den Parteien verlaufende Grenze zutreffend repräsentiert und die Neigung des Grenzkopfes um 5 cm insoweit marginal ist.

B. Auf die durch den Beklagten geltend gemachten Verwirkung kommt es nicht an.

Die Prozessualen Nebenentscheidungen richten sich nach § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO

C. Streitwert: 1.500,00 €

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